Vergessene Orte: Menschenleer & Schattenwelten

Pascal Dihé findet seine Motive im Raum SaarLorLux bevorzugt an Orten, die in der Vergangenheit vom Menschen geschaffen wurden, in der Zwischenzeit aber ihrer Funktion beraubt sind: abbruchreife Häuser, verlassene militärische Anlagen wie Bunker der Maginot-Linie, aufgegebene Fabriken und Bergwerke. Es sind Orte einer vergessenen Welt, die für den durch den Alltag absorbierten Menschen unsichtbar und unbeachtet sind. Eine Parallelwelt gewissermaßen, die durch Dihé wiederentdeckt wird und uns in den Bildern wie Phantome einer nicht mehr sichtbaren Wirklichkeit entgegentreten.

Pascal Dihés Absicht ist, durch das Festhalten einer möglichst unverfälschten Wirklichkeitserfahrung die Relation von Raum und Zeit und die Relativität von Wahrnehmung bewusst zu machen. Ein wichtiges Gestaltungselement ist für ihn die Rahmung des Bildausschnittes. Diese Funktion übernimmt meist ein Fenster- oder Türrahmen. Dadurch wird der Betrachter auf Distanz gehalten. Der Zutritt ist ihm verwehrt. Nicht selten ist selbst dieser der Ausblick auf Dahinterliegendes noch versperrt durch ein Gitter oder einen Vorhang wie zum Beispiel im Bild "Schattenmühle". Doch hinter der geschlossenen Tür ist Licht, das diffus eine kleine Statuette einer Lourdes-Madonna streift. Es sind diese kleinen Details, mit welchen Dihé seine Bilder auflädt. Manchmal sind sie versteckt und erst auf den zweiten oder gar dritten Blick zu finden: Die Badewanne mit Ausblick steht in einem abgebrannten Schloss. Das neue Schloss wird im Fensterausschnitt fast im Fluchtpunkt sichtbar. Auch hier trifft man auf symmetrische Bildanlagen. An den Gießformen in der Faïencerie kann man noch die Signaturen der Künstler erkennen.

Auffallend an Dihés Arbeiten sind die tief in den Raum ziehenden Fluchten und die Spiegelung von Architektur und Natur im Wasser. Durch harte Kontraste wirken die schwarz-weiß Fotografien sehr grafisch. „Der alte Bahnhof“ zeigt einen Innenraum, dessen fehlende Deckeden Blick in den Dachstuhl freigibt. Auch der abbröckelnde Putz zeugt von Jahren des Leerstandes. Mauerwerk, Fenster- und Türöffnungen spiegeln sich in einer fast den ganzen Boden bedeckenden Pfütze. Das Spiegelbild ist genau so klar und deutlich, ebenso scharf und real wie das Urbild. Nur die Basis der Dachträger, der trockene Boden vor dem Rolltor und den beiden Toilettentüren links zeigen, dass es sich um pure Illusion handelt. Der in der Pfütze liegende Unrat scheint durch den illusionistischen Eindruck zu schweben und der Blick stürzt ins Bodenlose. Der Betrachter ist verunsichert. Auch „Endstation“ braucht einen zweiten Blick, um sich zu vergewissern, dass es sich bei dem „Boden“um eine Spiegelung der Realität handelt. Bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass hier die Bauweise des Daches mit seinen drei Firsten genauer gezeigt wird, als dies die Realität in der oberen Hälfte des Bildes tut. Ist die Illusion realer als die Realität? Wie ein surrealer Fremdkörper schiebt sich in die golddurchflutete Halle ein blau-weißer Bus.

Während viele der "Vergessen Orte" ursprünglich für eine friedliche Nutzung vorgesehen waren, liegen unter Tage neben stillgelegten Eisenbahntunneln und Bergwerken auch verlassene militärische Anlagen wie Bunker der Maginot-Linie oder Festungen aus dem Kaiserreich. Mit seinen Fotografien entreißt Dihé diese Orte nicht nur dem Dunkel des Vergessens, sondern hält gleichzeitig eine Welt fest, die durch die Vergangenheit bis heute zwar von uns unbemerkt, aber eben doch neben uns weiter existiert.

Häufig setzt Dihé im Zentrum eine menschliche Figur in Szene. Hier erscheint im Gegenlicht z.B. "Der Maschinist" als dunkle Silhouette und versperrt ein weiteres Vordringen des Betrachterblickes. Die Beleuchtung der unterirdischen Anlagen muss von Dihé selbst installiert werden. Er nutzt diese Notwendigkeit als Möglichkeit, Lichtquellen mit unterschiedlicher Farbtemperatur in verschiedenen Entfernungen anzubringen. Wie deutlich geworden ist, hat die Farbe sogar eine wichtige Bildfunktion: den Aufbau der Raumtiefe und Führung des Betrachters. Auch wenn der Titel "On ne passe pas" ein Vordringen in den durch Türen geöffneten Stollen verneint, lockt die rote Farbe des Rohres in der Bildmitte oben, sich über die Widrigkeit des nassen Weges hinwegzusetzen und dem roten Impuls der Drehräder ins ungewisse Dunkel zu folgt.

Ihre Wirkung zeigt sich etwa auch in "Explorateur". Er steht klein und verloren in einer mit kaltem Licht ausgeleuchteten künstlichen Höhle. Die behauene Felswand im Vordergrund dagegen zeigt mit ihrem hellen Ockerton eine warme Farbigkeit. Höhle und Felswand trennt eine unregelmäßige dunkle Fläche, in der nun das helle Blau erst richtig zum Leuchten kommt. Scharf zeichnet sich hier der Mensch im Gegenlicht ab. Dorthin scheint kein Weg zu führen. Die Tiefenräumlichkeit erschließt sich dem Betrachter durch die Fernwirkung des Blau im Kontrast zu dem Nähe suggerierenden warmen Ockerton, durch den Größenunterschied der beiden Farbflächen und vor allem durch die Deutlichkeit der Felsstruktur im Vordergrund, die in der entfernten Höhle nicht mehr zu sehen ist. Die vorgefundenen Strukturen führen im seitlichen Licht zu einem scharfen Licht-Schattenspiel. Dihé verstärkt diese mit einem Bildbearbeitungsprogramm und erreicht grafische Flächen, die immer wieder gleichmäßiger Dunkelheit gegenüberstehen.

Eine ähnliche Konstruktion hat die Serie " Usines souterraines". Auch hier sorgt die entsprechende und sorgfältig ausgesuchte Beleuchtung der alten Dieselmotoren zur Stromerzeugung für eine unheimliche Wirkung. Die Belichtungszeit beträgt teilweise zwanzig bis dreißig Minuten.

Dr. Monika Mayer-Speicher

Vergessene Orte Vergessene Orte

Die Kataloge "Vergessene Orte" und "Schattenwelten" mit zum Teil bisher unveröffentlichten Fotografien sind auf Anfrage erhältlich.